Der letzte Zahn

Fast zahnlos, fast, lag die Frau, fast zahnlos lag, die Frau, deren Beruf nicht ehrenwert war, verdiente sie doch, mit ihrem fast zahnlosen Körper ihr Geld, verdiente ihr Geld, viel wird es nicht gewesen sein, mit der fleischlichen Lust und verlor doch, bevor in die Erde kam, ihren letzten Zahn noch, bevor sie in die Erde kam. Gestohlen wurde ihr der letzte Zahn, aus Gold war, gestohlen wurde ihr, aus Gold war, der letzte Zahn.

 

Gottfried Benn, Kreislauf

Im Tode vereint

Mann und Frau, vereint im Tode, liegend, seziert, geöffnet, der Körper geöffnet, auf den Seziertischen. Für jede Leiche einen, beieinander und doch getrennt. Die Körper ausgeräumt, gesammelt das Herausgeschnittene, gesammelt, in Kübeln neben den Tischen. Warum liegen sie hier? Was hat sie zu Tode gebracht? In die Särge lässt Benn die Leichen schaffen, in die Särge, vereint im Tode, im Grabe. Begehrend nicht mehr, nicht. Keine Musik erschallt.

Gottfried Benn, Requiem

 

Im Leichenhaus

Ins Leichenhaus geht der Dichter und schaut und sieht, im Leichenhaus, die Jugend liegend, das schöne Mädchen, geöffnet der Leib, geöffnet, Benn sah, dass die Ratten schon ihr Werk getan, an der schönen Jugend ihr Werk getan. Verzehrt die Innereien, die Spuren sah der Dichter, die Spuren des Hungers der jungen Ratten.

 

Gottfried Benn, Schöne Jugend

Das Seziermesser in der Hand

Mit aller Kraft, als käme der Herbst, legte Benn den jämmerlich ertrunkenen Bierausfahrer auf den Tisch, auf den Seziertisch und nimmt, und nimmt das Messer. Schneidet auf den unsanft Verstorbenen, schneidet ihn auf, auf der Suche nach dem Tod, schneidet ihn auf, die schöne Herbstblume hineinstopfend, die schöne Herbstblume hineinstopfend in die offene Brust, die dunkelhelllilafarbene Aster.

 

Gottfried Benn, Kleine Aster