Wiktor liebte Eishockey. Schaute sich fast jedes Spiel seiner Mannschaft an. Konnte auch ein wenig spielen. Hatte er von seinem Vater gelernt. Eis gab es ja genug im Winter. Wiktor lebte in Krasnojarsk. Lebte gerne in der Stadt. Er war nie groß weggewesen. Krasnojarsk war eine große Stadt. Im letzten Jahrhundert ist die Stadt schnell gewachsen. Locker verzehnfacht hat sich seitdem die Bevölkerung. Über eine Millionen Menschen lebten hier. Wiktor lebte gerne hier. Sein Vater auch.
Früher hatte sein Vater in Krasnojarsk-26 gelebt. In der geschlossenen Stadt. In der geheimen Stadt. In der Stadt, die auf keiner Landkarte vorkam. Heute war das anders. Heute kannte man die Stadt. Doch geschlossen war sie noch immer. Konnte nicht einfach jeder hinfahren. Heute hieß die Stadt Schelesnogorsk. Hatte noch immer viele Einwohner. Dafür, dass sie so ein Geheimnis war. Früher wurde in Krasnojarsk-26 Plutonium hergestellt. Für Atomwaffen. Sollte nicht jeder den Ort kennen. Als der Krasnojasker Stausee gebaut wurde, brauchte man Wiktors Vater als Ingenieur beim Bau. Da war er gerne aus der geschlossenen Stadt gegangen. War ihm lieber. War im sicherer. Krasnojarsk-26 war kein Ort für Familien. Obwohl dort viele Kinder lebten.
Mittlerweile war der Reaktor in Krasnojarsk-26 abgeschaltet. Wurde dort kein Plutonium mehr hergestellt. Doch die alten Reaktoren strahlten noch immer. Mussten noch entsorgt werden. Sein Vater hatte als Bauingenieur die beiden Reaktoren, die in Krasnojarsk-26 Plutonium erzeugt hatten, mitgebaut. Allein die beiden Reaktoren in Krasnojarsk-26 hatten eine Kapazität für mindestens 100 Atombomben jährlich gehabt. Damals. Als es den Kalten Krieg gab. Jeder nicht genug Atombomben haben konnte.
Der Krasnojarsker Stausee war für russische Verhältnisse nicht besonders groß. Es gab größerer. Im Winter fror er zu, dafür war sein Abfluss in der Regel eisfrei. Mit dem Bau des Staudamms hatte Wiktors Vater seine Familie gegründet, geheiratet, Wiktor war auf die Welt gekommen. Heute hat Wiktor selber eine Familie, er hat seinem Vater drei Enkelkinder geschenkt. Der Stausee lag vor der Stadt. Wiktor war für die Energiegewinnung verantwortlich. Sein Vater hatte den Damm gebaut, er selber überwachte die Turbinen. Zwölf waren es heute. Der meiste Strom floss in das Aluminiumwerk. Wiktor wohne am Rand der Stadt. So war der Weg zur Arbeit nicht zu weit. Brauchte 20 Minuten mit dem Auto. War gut machbar.
Der Jenissei brachte viel Wasser mit, war gewaltig. Am Wochenende ging Wiktor gerne in die Berge. Sammelte mit seiner Frau gerne im Sommer Pilze. Er wusste gute Stellen. Die Ausbeute konnte sich sehen lassen. Wenn seine Frau in die Oper gehen wollte, ging er mit. Ihr zuliebe. Wiktor war lieber in der Natur. Oder beim Eishockey. Ging angeln. Wiktor hatte in Krasnojarsk studiert. Zumindest die meiste Zeit. War auch für ein Semester in Moskau gewesen. Doch hatte er sein Studium im Krasnojarsk beendet. Wenn er beruflich verreisen muss, konnte er den Zug nehmen. Meistens. Er nahm aber auch oft das Flugzeug. Die Wege sind oft weit. Er besucht immer wieder andere Stauseen. Zuletzt war er an der Wolga. Die Wolga hatte ihm gefallen. Das Kraftwerk hatte ihm gefallen. Wiktor mochte Technik. Manchmal fuhr Wiktor auf seiner alten Ural zur Arbeit. Da machte ihm die Arbeit noch mehr Freude. Wiktor sammelte 10-Rubel-Scheine. Auf der Rückseite war das Kraftwerk vom Krasnojarsker Stausee abgebildet. Wiktor liebte den Stausee. Sein Vater auch. Jetzt war sein Vater alt. Konnte nicht mehr gut gehen. Doch immer wieder gingen sie zu zweit über die Staumauer. Langsam. Zufrieden. Ganz zufrieden.
Deine Miniaturen gefielen mir immer, und jetzt sind sie voller landschaftlicher und historischer Details, so dass sie auch unglaublich informativ sind über Lebensverhältnisse, die unseren ziemlich unähnlich sind. Herzlichen Dank fürs Teilen.
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Ich danke dir:). Das Leben in Sibirien ist anders, keine Frage. Hier sind 0 Grad, dort zur Zeit -40 Grad…
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