Kitschera: Lisonka #3

Lisonka wohnte unweit vom Baikalsee. Groß war der Ort nicht.  Sie hatte nicht viel gelernt in der Schule, war aber immer gut im Kopfrechnen gewesen. Hatte nach der Schule im kleinen Supermarkt Arbeit gefunden. Es gab alles, was die Leute aus Kitschera brauchten. Schön war der Laden eingerichtet. Die Wage war hellblau. Auch die Theke, auf der die Kasse stand. Nur die Kasse war nicht mehr hellblau wie früher. War durch eine neue ersetzt worden.  Warenwirtschaftssystem. Man konnte jetzt sogar mit der Karte zahlen. Zu kaufen gab es Milch und Wodka. Kartoffeln und Kraut. Auch Süßes gab es. Toilettenpapier. Als die Baikal-Amur-Eisenbahn gebaut wurde, entstand der Ort. Vorher hatte Lisonka mit ihrer Familie direkt am See gewohnt. Sie vermisste den See oft. Hatte Sehnsucht nach ihm. Doch auch die Berge liebte sie. Doch die Baikal-Amur-Magistrale wird nur wenig befahren. Kitschera hat an Einwohnern verloren. Lisonkas Laden macht weniger Umsatz. Ohne die Bahn ist im Ort wenig los. Lisonkas Mann geht öfter am Fluss angeln. Wenn der Fang gut war, brät Lisonka am Abend den Fisch. Oder räuchert ihn. Ob der Supermarkt noch lange auf hat, weiß Lisonka nicht. Lisonka kennt das Leben. Das Leben kennt Lisonka. Lisonka liebt ihren Supermarkt. Sie liebt ihre Kunden. Lisonka weiß, was die Menschen brauchen. Sie weiß, wer welche Zigaretten kauft. Weiß, welches Kind welche Süßigkeiten will. Im Kopfrechnen ist sie immer gut gewesen. Wenn die Kasse ausfällt, ist dies kein Problem. Mit Karte zahlt hier fast keiner. Früher hat sie mehr Wodka verkauft. Früher. Ein paar mehr als tausend Einwohner wohnen in Kitschera. Als der Besitzer des Supermarktes gestorben ist, hat Lisonka ihn übernommen. Hier lebt sie. Hier wird sie auch sterben. Ein Junge hilft ihr bei den schweren Kisten. Sonst macht sie alles allein. Manchmal halten hier LKWs auf der Durchfahrt. Die Fahrer kaufen dann etwas Proviant. Brot. Käse. Wurst. Wodka für die Nacht. Kaffee. Manchmal kocht Lisonka auch frischen Kaffee. Dann bleibt ein Fahrer länger. Im Sommer fährt Lisonka mit dem Auto zum See. Schwimmt am Abend eine Runde. Fährt wieder heim. Sitzt dann oft vor ihrem Supermarkt. Wartet. Oft fährt sie nicht bis zum See. Es sind über 40 KM. Der Sprit ist teuer. Aber ohne den See kann sie nicht leben. 

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